Erlebnisberichte
Karl
Weber: Wie ich das Ende von Bulkes erlebte
Friedrich Glas: Peter Kendl im Konzentrationslager
Jarek
Karl Weber: Wie ich das Ende von Bulkes erlebte
Erinnerungen
des damals 11-jährigen Karl Weber
An diese Zeit sind in mir als
damaliges Kind noch erstaunlich viele Erinnerungen wach geblieben.
Mein Elternhaus (Nr. 62) lag schräg gegenüber dem Gemeindehaus,
Schulunterricht hatten wir keinen mehr, ich hatte das Geschehen überwiegend
hautnah miterlebt. In unserem Haus mussten wir immer wieder
Partisanen, aber auch sonstiges durchziehendes Gesindel beherbergen
und z. T. auch verköstigen. Schließlich übernachteten auch die 18
Partisanen bei uns, die uns am 15. April 1945 aus unseren Häusern
trieben.
Schwerwiegende
Entscheidungen
Russen in Bulkes
Plünderungen
Partisanen und sonstiger Pöbel
im Gefolge der Russen
Restarbeiten auf dem Felde
Der erste Akt der Austreibung
Das Unfassbare: Die Deportation von 215 Bulkeser
Frauen in die UdSSR
Die endgültige Austreibung und das Ende von Bulkes
Im Arbeitslager Bulkes
Schwerwiegende Entscheidungen
Unsere
Familie war nicht geflüchtet. Sie taten sich mit der Entscheidung
nicht leicht. Am 11. Oktober verließ bekanntlich der erste Flüchtlingstreck
Bulkes in Richtung Gajdobra. An diesem Tag spannte mein Großvater früh
am Morgen die Pferde ein, lud beide Schwiegertöchter und uns
Enkelkinder (ohne meinen damals 15-jährigen Bruder Nikolaus) auf den
Wagen und fuhr über Silbasch und Parage nach Parabutsch. Dort waren
mein Vater und mein Onkel, wie fast alle Bulkeser der III. Aktion,
stationiert. Er wollte mit ihnen entscheiden, ob wir flüchten
sollten. Ich erinnere mich, dass in den genannten serbischen Dörfern
viele Menschen auf der Straße waren und schweigend unseren Weg
verfolgten.
An diesem Tag wurde die Einheit
nach Gajdobra verlegt. Wir fuhren mit ihnen an der Bahnlinie
Gajdobra-Kula entlang, wo einige Kilometer vor Gajdobra eine schwer
beschädigte Lokomotive auf den Schienen stand. Unsere Familie
entschied sich nicht zu flüchten und wir machten uns gegen Abend auf
den Heimweg. Am Ortsrand von Gajdobra kam uns die Wagenkolonne des
ersten Bulkeser Flüchtlingstrecks entgegen. Dabei kam es auch zur
wohltuenden Versöhnung zwischen Frau Maria Klein und meiner Tante
Elisabeth Weber. Sie waren ja Nachbarn, hatten aber aus „politischen
Gründen“ lange keinen Kontakt mehr gehabt.
Auf einem der Wagen saß auch mein
Bruder Nikolaus. Großvater wollte ihn unbedingt mit nach Hause
nehmen, aber Nikolaus überredete ihn, dass mein Vater in Gajdobra die
Entscheidung treffen sollte. Auch dieser wollte ihn wieder zurückschicken.
Schließlich gab er dem Drängen meines Bruders nach und sagte mit Tränen
in den Augen – geh! Es ist uns überliefert, dass es für Vater und
Großvater in ihren Todesstunden, in den Lagern Vrdnik und Jarek, ihr
einziger Trost war, dass sie Nikolaus damals seines Weges ziehen ließen.
Kurz bevor die Russen kamen, traf
mein Vater, wie weitere rund 50 Bulkeser der III. Aktion, zu Hause
ein. Sie hatten ihre Einheit, wo sie noch nicht eingekleidet waren und
noch keine Waffen hatten, etwa auf dem Weg zwischen Hodschag und
Bezdan verlassen, um bei ihren Familien
zu sein.
Russen in Bulkes
Es war wohl der 25. Oktober 1944
als die ersten russischen Soldaten Bulkes erreichten. Sie kamen mit
ziemlich armseligen Pferden und Wagen und spannten zunächst den aus
dem Feld heimkehrenden Landwirten die Pferde auf der Straße aus und
ließen die zum Teil voll beladenen
Wagen stehen. Das geschah vorwiegend in der Dorfmitte zwischen
Gemeindehaus und Kirche. Mein Großvater schickte mich sofort aufs
Feld, um meinem Vater die Lage mitzuteilen und zu warnen, er solle mit
den Pferden zu Familie Katerle am Rande des Dorfes fahren, was mein
Vater dann auch tat.
Ich erinnere mich, dass des öfteren
Russen zu uns zum Abendessen kamen, vermutlich waren sie vom
Gemeindeamt bei uns „eingeteilt“. Dabei dolmetschte unser
„Palospat“ (er hieß Jonas Pal) recht gut. Diese Russen benahmen
sich in unserem Hause ordentlich. Andererseits wollten mehrere, wohl
stark betrunkene Russen, tief in der Nacht unser stabiles Eingangstor
aufbrechen. Mein Vater und „Palospat“ hielten mit einer Querstange
dagegen und „evakuierten“ meine Mutter und unser Lenchen sowie
mich aus den vorderen Räumen, wobei sie mich zunächst vergessen
hatten. Die Russen versuchten es auch an den Fenstern, aber die waren
zu hoch und eine Leiter hatten sie nicht dabei.
Soweit
ich mich erinnere, waren die Russen etwa zwei Wochen in unserer
Gemeinde. Da aber bei uns immer andere zum Essen kamen, nehme ich an,
dass es sich um durchziehende Russen handelte, die jeweils nur kurz in
Bulkes weilten.
Plünderungen
Wir hatten nicht mehr lange
Freude an unseren Pferden, denn schon kurz nach dem Eintreffen der
ersten Russen kamen zahlreiche Andersnationale, bei uns waren es laut
„Palospat“ Slowaken, um aus den Häusern vieles zu holen, was
ihnen gefiel. Auch die Bitten von „Palospat“, unseres treuen
slowakischen Knechtes, der seinerzeit im Jahre 1898 schon von
meiner Ur-Ur-Großmutter eingestellt wurde und bereits 46 Jahre
bei uns im Hause war, konnten nicht verhindern, dass er zusammen mit
meinem Vater und Großvater hilflos und mit Tränen in den Augen die
Plünderungen erdulden musste, besonders als ein
Slowake mit einem bewaffneten Begleiter ohne Umschweife in den
Pferdestall ging und unsere hochträchtige Stute aus dem Hause führte.
Ich glaube, dass dieses Erlebnis der Anfang vom Ende meiner Kindheit
war. Den Täter könnte ich heute noch beschreiben.
Partisanen und
sonstiger Pöbel im Gefolge der Russen
Die vielen, meist unmenschlichen
Erlebnisse in dem halben Jahr, vom Eintreffen der Russen bis zur
Austreibung aller Bulkeser am 15. April 1945, haben sich tief in mir
eingeprägt.
In dieser Zeit glich unser Haus
einem Taubenschlag. Es waren wohl etwa hundert Nächte, in welchen bis
zu 20 fremde Menschen in unserem Haus übernachteten, fast alle in der
Zeit nach dem 16. November 1944, wo mein Vater und mein Großvater
schon weggetrieben waren. Dabei schliefen meine Mutter und Lenchen
fast immer in der Nachbarschaft, oft ließen sie sich
bei den ungebetenen Gästen gar nicht blicken. Die Hauptlast
lag bei unserem „Palospat“. Der konnte mit seinem Slowakisch und
etwas Russisch sich mit allen verständigen und hatte ein
Gespür, mit diesen verschiedenartigsten Menschen umzugehen.
Jedenfalls erinnere ich mich nicht an stark Betrunkene oder
irgendwelche größere Beschädigungen am Mobilar.
Restarbeiten auf dem Felde
Die
Plünderungen waren so umfangreich, dass am Ende im ganzen Dorf nur
noch wenige, ich glaube es waren 13, halbverreckte Pferde blieben. Die
konnte man anfordern, um das Feld zu beackern. Wir bekamen eines für
etwa eine Woche, das immerhin den von „Palospat“ nicht zu tief
eingestellten Pflug schaffte. Das Umgraben des Gartens auf dem
Sallasch war für den damals 66-jährigen nicht allzu kräftigen
„Palospat“ und für mich keine leichte Arbeit.
Auf dem Nachbar-Sallasch blieb
unsere Dorfnachbarin Elisabeth Elicker immer in Sichtweite, sie ging
des öfteren am Morgen und am Abend mit uns aufs Feld hinaus und zurück.
Eines
Abends, als wir zum Dorfe zurückgingen, es war noch nicht dunkel,
sahen wir, dass wieder eine Gruppe, diesmal waren es Mädchen und
Frauen, aus Bulkes weggetrieben wurden und uns in Richtung Tscheb
entgegen kamen. Elisabeth Elicker hatte Angst, mitgenommen zu werden
und versteckte sich an einem Sallasch. Sie konnte sich später nicht
beruhigen als sie hörte, dass ihre beste Freundin dabei war und sie
sich nicht von ihr verabschiedet hatte. Sie konnte nicht ahnen, dass
sie einige Wochen später beide in die UdSSR deportiert wurden.
Der
erste Akt der Austreibung
Ich erinnere mich noch gut, wie
Vater und Großvater am 15. November 1944 abends aus dem Feld kamen
und meine Mutter ihnen sagte, dass sie im Gemeindehaus vorsprechen
sollten. Mein Vater wollte es gleich hinter sich bringen und ging noch
vor dem Abendessen und vor dem Waschen die paar Schritte über die
Straße. Mein Großvater war müde, reinigte sich und ging erst nach
dem Abendessen. Als sie nicht kamen, gingen wir ins Gemeindehaus, um
nach ihnen zu sehen. Dort sagte man uns, sie seien in der Schule. Wir
glaubten immer noch, dass sie bald zurückkommen würden. Erst zu
fortgeschrittener Nachtzeit stellten wir fest, dass man sie dort
eingesperrt hatte und sie am nächsten Morgen mit Kleidung und Essen für
einige Wochen Arbeitsdienst versorgt werden konnten.
Der Abmarsch der 140 Männer und
der drei Frauen am nächsten Morgen vom Gemeindehaus die Zweite Gasse
hinunter, in Dreier- oder Viererreihen von bewaffneten Partisanen
umgeben, glich einem Trauerzug. Angehörige begleiteten ihre Lieben
betroffen und stillschweigend ein Stück des Weges. Dass es für alle
ein Weg ohne Wiederkehr und für viele, die nicht überlebten, ein
Abschied von ihren Angehörigen für immer werden würde, wie auch bei
meinem Vater und Großvater, ahnte wohl niemand.
Das
Unfassbare: Die Deportation von 215 Bulkeser Frauen in die UdSSR
Auch
dieses Geschehen erlebte ich hautnah mit. Beim Abtransport der ersten
77 Frauen im Alter von 18-30 Jahren war auch unser herzensgutes
Lenchen (Holze) dabei. Der Abschied vollzog sich bei uns im Haus, ihre
kranke Mutter konnte beim Packen nur tatenlos zusehen.
Einige Tage später, als die Frauen
von 31 bis zu 40 Jahren weggetrieben wurden, schien das Schicksal für
mich noch härter zuzuschlagen, denn auch meine Mutter sollte dazugehören.
Bei dieser Aktion wurden letztlich 120 Frauen aus der Mitte ihrer
Familien gerissen, fast alle ließen unmündige Kinder zurück. Für
Nichtbetroffene ist ein solcher Seelenschmerz wohl kaum zu ermessen.
Aber
es wurden nicht alle Frauen aus diesem Altersbereich weggetrieben.
Diese Ausnahmen bestimmte der ehemalige Bulkeser Militärreferent
Milutinovic, der wieder aufgetaucht war. Er war der starke Mann in der
Gemeinde und wurde von mehreren älteren Männern und von dem
deutschen Bulkeser Kommunisten Franz Wolf (Haus Nr. 408) beraten. Alle
Frauen mussten sich in einem bestimmten Raum im Gemeindehaus melden.
Viele versuchten Argumente vorzubringen, um nicht weg zu müssen, aber
nur wenigen war Erfolg beschieden.
Ich,
sowie „Palospat“, wollten mit meiner Mutter den Raum betreten,
aber wir beide fanden uns schneller vor der Tür als wir hinein kamen.
Kurze Zeit später kam auch meine Mutter
weinend heraus, verfolgt von wüsten Schreien des Serben
Milutinovic und sagte, dass sie weg müsse.
Wir gingen heim über die Strasse und packten. Palospat und ich drängten
sie, es noch einmal zu versuchen. Sie traute sich nicht mehr, aber wir
beide drückten sie zur Türe hinein. Diesmal blieb der Diktator
ruhiger und hörte zu, als sie ihm sagte, dass mein Vater nicht beim
Militär, sondern schon in Neusatz interniert sei und noch einiges
andere. Daraufhin fragte er Franz Wolf, ob dies alles stimme. Als
dieser bejahte, schlug er mit seinem Lederriemen auf den Tisch und
schrie, sie könne heimgehen und dableiben, aber sie sei die letzte
Ausnahme. Wieder kam sie weinend heraus, aber diesmal mit Tränen der
Erleichterung, die dann auch bei „Palospat“ und mir reichlich
flossen.
Die
endgültige Austreibung und das Ende von Bulkes
In den restlichen dreieinhalb
Monaten waren in unserem Hause, wie schon erwähnt, laufend Räume
belegt. So u. a. für drei Wochen die Kommandantur einer
Partisaneneinheit. Etwa ab Mitte
Februar mussten wir noch zusätzlich die junge Frau eines Partisanen
mit Kind und ihrer Mutter aus Opatovac aufnehmen, sie belegten Großvaters
Stube und Küche. So ging es bis zum 14. April weiter. Diesmal kamen
gegen Abend 18 bewaffnete Partisanen. Sie begnügten sich samt ihrem
Kommandanten mit drei Räumen und trugen „Palospat“ auf, sie um fünf
Uhr zu wecken, weil sie früh weg müssten. Sie brachen dann auch früh
auf und wir waren froh, wieder unter uns zu sein.
So gegen acht Uhr sahen wir mehrere
Personen mit Rucksäcken vorbeigehen. Wir öffneten das Fenster und
sie sagten uns, dass wir alle weg müssten. Wir waren vermutlich mit
die letzten, die es erfuhren. Nachdem wir schnell einige Sachen gepackt
hatten, kamen auch schon die uns bekannten Partisanen und wiesen uns
aus dem Haus.
So gegen Mittag dürften
1200 Personen auf der Hutweide gewesen sein. Die nicht Gehfähigen
wurden nach und nach mit den Wägen herbeigefahren, dabei wurden
einige mit dem Leintuch vom Wagen auf die Hutweide gekippt.
Dann wurde ein Tisch
aufgestellt, hinter dem Partisanen als lebende Wand zwei Gruppen
auseinander hielten. An diesem Tisch mussten alle vorbei, um in zwei
Gruppen geteilt zu werden. Die eine wesentlich kleinere Gruppe waren
die Personen, die man als arbeitsfähig ansah, am Ende waren es knapp
350. Die andere Gruppe waren alle Nichtarbeitsfähigen, Kinder bis zu
etwa 14 Jahren, Kleinstkinder mit Müttern und alte Menschen.
Als meine Mutter und ich an den
Tisch kamen, beschwerte sie sich beim Kommandanten, weil er uns vorher
nicht Bescheid gesagt hatte und wir deshalb nur ganz wenig mitnehmen
konnten. Darauf sagte er sinngemäß in verständlichem Deutsch: Alles
was ihr habt nehmen wir Euch jetzt sowieso weg. Aber Du sollst nicht
sagen, dass ich undankbar bin. Du kannst Deinen Buben, den ich jetzt
von Dir trennen müsste, mitnehmen!
Ich glaube, wenn es einen Film gäbe
von dem, was sich an diesem Tage dort auf der Hutweide mit nicht zu
beschreibenden Szenen des Auseinanderreißens von Menschen abspielte,
wäre das ein einprägsamer Lehrfilm für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit.
Wir „Arbeitsfähigen“ wurden im
Gasthaus Bauderer (Haus Nr. 34) und im Haus der Familie Kendl (34a)
einquartiert, das Krankenrevier war im Haus der Familie Neidhöfer
(34c). Ich blieb, wie die meisten, neun Wochen. Hier einige Zeilen über
diese Zeit:
Das ganze Dorf wurde ja an einem
Tag von den letzten noch verbliebenen rund 1270 Menschen geräumt. Bis
auf wenige Anwesen, wo noch einzelne andersnationale Knechte oder die
seit Wochen zugezogenen serbischen Familien wohnten, waren die
Häuser menschenleer. Wir konnten uns oft frei bewegen und betraten
dabei viele Häuser. Allerdings mit sehr zwiespältigen Gefühlen.
Tore und Türen waren nicht verschlossen und es sah oft so aus, als
wenn die Menschen noch darin wohnten. Es hatte auch nicht den
Anschein, dass seit der Räumung von Bulkes viel geplündert wurde.
Hunger brauchten wir nicht zu leiden, unsere Lagerköchinnen
bekamen genügend Nahrungsmittel.
Im
Arbeitslager Bulkes
Wir wurden täglich zu wechselnden
Arbeiten eingeteilt. Nach relativ kurzer Zeit begann die Räumung der
Häuser offiziell und wir mussten beim Zusammenfahren von Wäsche,
Bettsachen usw. helfen. Ein Teil von uns wurde jeweils zu
Feldarbeiten, andere zum Viehfüttern eingeteilt. Die Gänse wurden
alle zusammen in den Grundlöchern zwischen der ersten Gasse und dem
Neudorf gehalten. Dort wurde ich für etwa zwei Wochen eingeteilt, die
Gänse mitzuhüten. Meine Aufgabe bestand darin, die Straße an „Küsters
Bad“ zu bewachen. Weil die ganze Sache langweilig war, „sperrte“
ich die Straße für die Gänse, indem ich Leitern, Bänke und Tische
aus den Häusern holte und sie quer über die Straße legte. Das war
machbar, weil da nie ein Wagen vorbei kam. Somit hatte ich
Gelegenheit, zu Valentin Elicker zu gehen, der die Straße an
„Martins Eck“ zu bewachen hatte. Der machte es ähnlich und wir
konnten „Häuser besichtigen“. So gesehen hatten diese ersten
Wochen der Lagerzeit auch etwas abenteuerliches für uns Buben.
Mit den Hunderten unbrauchbaren
Hunden machte der Schinder kurzen Prozess. Er fing sie ein und band
sie mit einer Schlinge um ihren Hals an den Wagen. Die Hunde wollten
nicht weg, zogen an der Schlinge und dabei sich selbst die Gurgel zu.
So zog er dann die verendeten Tiere am Wagen hängend durch die Straßen.
Obwohl es den Umständen nach hätte
offensichtlich sein müssen, dass wir endgültig unserer Heimat
beraubt waren, glaubten wir immer wieder nur allzu gerne den Gerüchten,
„am kommenden 1. oder 15. des Monats“ wieder heim zu dürfen.
Ich kam mit vielen anderen
Ende Juni, kurz bevor die 5000 Griechen kamen, in die Gemarkung
Palanka zu Feldarbeiten, meine Mutter musste in Bulkes bleiben, sie
kam später nach Neusatz ins Lager. Die Letzten des Bulkeser Lagers
kamen im Februar 1946 nach Palanka.
(wird fortgesetzt)
Jarek
Peter Kendl
Konzentrationslager Jarek, in
der Wassergasse, Spätsommer im Jahre 1945
Nach dem Tode meiner zweijährigen Schwester wurde auch ich
lethargisch. Ich konnte vor Ekel und Schwäche fast nichts mehr essen.
Das Wenige an Essen, das als Tagesration verteilt wurde und in der
Lagerküche abgeholt werden musste, eine schleimige Gerstensuppe,
meistens noch immer ungesalzen, mit ekelerregenden Beilagen wie Maden
und anderes Ungeziefer, ohne Fett, konnte ich nicht mehr hinunterwürgen.
Ich blieb meistens stumm den ganzen Tag über auf dem Strohlager in
der Stube der früheren Sommerküche des Bauernhauses liegen.
Ich wusste es noch nicht, aber intuitiv spürte ich, dass die Zeit der
Kindheit, die Zeit der Obhut und Geborgenheit in der Großfamilie für
mich vorbei ist. Ich wäre nicht mehr auf die Beine gekommen, wäre da
nicht der Peter gewesen.
Plötzlich trat der Peter wieder in mein Leben. Wir sind zusammen
aufgewachsen und in die gleiche Klasse der Volksschule gegangen. In
den ersten Monaten hier im Lager hatten wir uns aus den Augen
verloren. Nunmehr war er im Nachbarhaus untergebracht. Seine Großmutter
und sein Onkel waren bereits im Lager verhungert. Zusammen mit seinem
jüngeren Bruder Johann musste er sich allein im Lager durchschlagen
und versuchen zu überleben.
Der Peter war dann die Triebfeder aller unserer Unternehmungen. Er
brachte mich wieder auf die Beine. Er brachte mir auch bei, dass ich
nach dem Tode meiner Schwester weiter leben muss
und jetzt für meinen wesentlich jüngeren Cousin, Karl Lang, zu
sorgen hätte, nach dem Motto: Ich für meinen Bruder, du für deinen
Cousin.
Zusammen waren wir über Tage hinweg im Lager auf der Suche nach etwas
Essbarem unterwegs. Im Speicher eines Hauses entdeckten wir
Sonnenblumenkerne, fast einen Sack voll. Was für ein Fund! Tagelang
waren wir damit beschäftigt, die Kerne mit den Zähnen aufzubrechen,
egal ob geröstet oder roh. Der Verzehr der Sonnenblumenkerne milderte
das quälende, permanente Hungergefühl. Hätte es im Lager eine
Meisterschaft im Aufbrechen der Sonnenblumenkerne und Ausspucken der
Schalen gegeben, wir wären Meister geworden.
An manchen Tagen sind wir beide am Fischteich vorbei Richtung Süden
aus dem Lager geschlichen, um Kartoffeln, Tomaten und andere Früchte
auf den umliegenden Feldern zu stehlen. Meistens vergeblich. An
Fleisch und Brot sind wir jedoch nicht rangekommen, da die verstreut
liegenden Sallasche von Serben bewohnt waren, von denen keine Hilfe zu
erwarten war.
Am 3. August 1945 verstarb meine Großmutter mütterlicherseits.
Obwohl sie eine Kämpfernatur war, hatte sie sich von den Schlägen
nach einem missglückten Bettelgang aus dem Lager nicht mehr erholt
und ist auch auf erbärmliche Weise verhungert.
Am 22. August 1945 starb auch Peters Bruder Johann. Auch er ist
verhungert! Er starb im Alter von sechs Jahren! Der Tod seines Bruders
hatte dem Peter sehr weh getan und ihn sehr mitgenommen.
Wir beide waren uns darüber im klaren, dass, wenn wir überleben
wollten, wir auf uns allein angewiesen sind. Von meinem Großvater und
von meiner Tante konnte ich keine Hilfe mehr erwarten. Beide waren
bereits zum Skelett abgemagert und so geschwächt , dass sie kaum noch
gehfähig und dadurch nicht mehr in der Lage waren, ihre tägliche
Essensration aus der Lagerküche selbst abzuholen.
Wieder war der Peter der aktivere, der den Gedanken hatte, für
mehrere Tage aus dem Lager abzuhauen, um in einem den Volksdeutschen
freundlich gesonnenen Ort Lebensmittel in größeren Mengen zu
organisieren. Dafür kam als nächstgelegener Ort nur Temerin mit den
dort lebenden Ungarn in Frage.
Jetzt galt es zu überleben. Der Herbst stand vor der Tür, im Lager
konnte nichts Essbares mehr aufgetrieben werden, und an eine
Entlassung war nicht zu denken.
Der Peter und ich waren uns einig, dass wir im Norden des Dorfes, in
der Nähe der Mühle, nach einem Schleichweg aus dem Lager nach
Temerin suchen mussten.1)
Niemand aus unserem näheren Bekanntenkreis durfte etwas von
unserem Vorhaben wissen, denn es bestand die Gefahr des Verrates. Verräter
wurden durch die Partisanen mit nahrhaftem Essen und
Vertrauenspositionen belohnt. Und einige meiner Landsleute waren zu
Verrätern geworden, nur um die eigene Haut zu retten, koste es was es
wolle.
Unbemerkt von anderen Lagerinsassen beobachteten wir die Gegend um die
Mühle. Vom Süden kommend, lag die Mühle links, also westlich von
der Hauptgasse. Bis zu der noch weiter westlich gelegenen Hanffabrik
war das Gelände eben und übersichtlich. Dort war an ein Durchkommen
nicht zu denken. Wir orientierten uns etwas nach Osten.
Aus dem nördlichsten Eckhaus der Spitalgasse beobachteten wir über
die breite Gasse hinweg die gegenüberliegende Notari-Hutweide und
insbesondere das daran anschließende letzte Haus.
Östlich davon, im ersten Haus der Äußeren
Reihe waren bewaffneten Posten untergebracht. Von dort kontrollierten
sie die breite und übersichtliche Gasse nach Westen hin bis zu dem
allein östlich von der Notari-Hutweide stehenden Haus, Haugs Hambar
genannt. Im letzten Haus auf der linken Seite der Hauptgasse, zur
Hanffabrik hin, waren die nächsten bewaffneten Posten untergebracht.
Diese patrouillierten über die Hauptgasse hinweg nach Osten ebenfalls
bis kurz vor Haugs Hambar.
Soweit wir das Gelände während des Tages beobachten konnten, ging
kein Partisan bis zu Haugs Hambar. Wenige Meter davor machten sie
kehrt. Die einen gingen nach Westen die anderen nach Osten zu ihren
Patrouillenhäuschen zurück.
Dort also, zwischen Haugs Hambar, der Notari-Hutweide und dem letzten
Haus war das Schlupfloch!
Eines Tages täuschten wir Flucht vor und gingen in aufrechter Haltung
über die Gasse Richtung Notari-Hutweide. Zu unserem Erstaunen blieb
der vorgetäuschte Ausbruchsversuch ohne Folgen. Kein Posten schien
uns zu bemerkten, nichts rührte sich. Wir waren uns einig, wenn wir
unbemerkt aus dem Lager raus und nach unserem Bettelgang wieder
unbehelligt hineinkommen wollten, dann nur hier.
Über unseren beabsichtigten Bettelgang nach Temerin waren nur meine
Tante und mein Großvater eingeweiht. Der Peter war bereits am
Vorabend zu uns ins Zimmer gekommen, um nicht aufzufallen, wenn er
nachts seine Unterkunft verlässt.
Gegen vier Uhr weckte uns meine Tante. Ohne uns zu verabschieden
machten wird uns auf den Weg. Nachdem wir das nördlichste Eckhaus in
der Spitalgasse erreicht hatten, beobachteten wir die gegenüberliegende
Notari-Hutweide und das daran anschließende letzte Haus. In der
Dunkelheit war nichts zu erkennen. Was für uns noch wichtiger war,
war die Tatsache, dass auch nichts zu hören war. Auf der gegenüberliegen
Seite der breiten Gasse herrschte absolute Ruhe. Niemand schien
unterwegs zu sein.
Wir im Lager hatten bereits früher beobachtet, dass man versteckte
Posten provozieren musste, um sie aus ihrem unsichtbaren Versteck zu
locken, wenn man nicht blindlings ins Verderben laufen wollte.
Verabredungsgemäß gingen wir bis zur Mitte der Gasse, blieben stehen
und gingen wieder zum Eckhaus zurück Nichts war zu bemerken. Es
herrschte völlige Stille. Ich ging nochmals allein auf die Gasse und
wieder zurück. Absolute Stille. Westlich von uns, zur Mühle hin und
im Haus der Äußeren Reihe, also östlich von unserem Standpunkt,
brannte Licht. Das war normal. Dort waren die Posten untergebracht. Da
nichts zu hören war, mussten wir annehmen, dass diese nicht auf einem
Patrouillengang, sondern in der Stube im Postenhaus waren.
„Peter, komm, gehen wir.“ Ich ging voraus, über die Gasse, auf
das Haus neben der Notari-Hutweide zu. In der Dunkelheit war nur die
Silhouette des Hauses zu erkennen. Es herrschte absolute Stille. Der
Peter war in Kontaktnähe hinter mir. Ich hatte bereits den Toreingang
zum Haus etwas geöffnet, als unmittelbar neben uns, so als ob die
Stimme aus dem Boden kommen würde, wie ein Peitschenknall,
„Stoj!“ gerufen wurde.
Völlig überrascht blieben wir wie angewurzelt stehen. Weitere
Befehle folgten. Obwohl wir diese nicht verstanden, hoben wir die Hände
und traten ein oder zwei Schritte von dem Toreingang zurück. Einen
Augenblick lang kam mir der Gedanken durch den wenig geöffneten
Toreingang zu fliehen. Ich hätte es wahrscheinlich geschafft. Aber
der Peter? Der stand ja hinter mir! Der wäre nicht mehr heil durch
den halb geöffneten Toreingang gekommen.
Mit erhobenen Händen, vor Angst erstarrt, sah ich dann einen
Partisanen unmittelbar neben uns vom Boden aufstehen. Ein Zweiter
folgte. Jetzt erkannte ich, dass beide zuvor unter einer Tarndecke
gelegen hatten. Dadurch waren beide so perfekt getarnt, dass wir in
der Dunkelheit fast über die beiden gestolpert wären, als wir uns an
das Haus anschlichen.
Eine Taschenlampe leuchtete auf. Der Lichtkegel erfasste zuerst den
Peter. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann leuchtete man
mir ins Gesicht. Beide Partisanen sprachen in drohendem Ton auf uns
ein. Doch wir konnten kein Wort verstehen, da wir nicht serbisch
sprachen.
Einer der Partisanen sucht uns nach Waffen ab. An eine Flucht war
jetzt nicht mehr zu denken. Im Schein der Taschenlampe sah ich zu
meinem Entsetzen, dass beide Partisanen mit gezogenen Pistolen
rumfummelten. Sie wechselten untereinander einige Sätze. Beide
schienen sehr aufgeregt zu sein. Es war noch immer stockdunkel.
Nach längerer Diskussion trieben uns die beiden Partisanen, weiterhin
mit gezogenen Pistolen, auf der Strasse Richtung Mühle. Mit der
Taschenlampe leuchteten sie den Weg aus. Nachdem wir die Hauptgasse
erreicht hatten, mussten wir nach Norden abbiegen. Gegenüber der Mühle
waren Wachposten untergebracht. Das Haus war beleuchtet. Der Posten
vor dem Haus wurde auf uns aufmerksam. Nach Zuruf der Parole durch
einen der Partisanen
wurden wir in den Lichtschein zum Wachhaus vorgelassen. Die beiden
Partisanen wurden erkannt und mit großem
Hallo begrüßt. Wir wurden in das Wachhaus abgeführt. Im Innenhof
brannte ebenfalls Licht. Wir mussten in die Wachstube. Grölendes Gebrüll
schlug uns entgegen. Die Luft war rauchgeschwängert. Schnapsgeruch
umwehte uns.
Die beiden Partisanen, die uns gefangen hatten, wurden wieder
freundschaftlich von allen Anwesenden begrüßt und ihnen sogleich
vollgefüllte Schnapsgläser gereicht. Mit erhobenen Händen mussten
der Peter und ich in einer Ecke der Stube stehen bleiben.
Eingehend werden wir gemustert. Alle sprachen durcheinander. Die Männer
waren stark betrunken. Sie brüllten uns an. Stellten Fragen und
erwarteten Antworten. Dass wir nicht serbisch sprachen und ihre Fragen
nicht beantworten konnten, reizte ihren Zorn. Es hagelte Ohrfeigen.
Einer der Partisanen tastete unsere Geschlechtsteile ab. Anscheinend
wollte er sich überzeugen, ob wir auch wirklich Jungs waren. Den Mädchen
im Lager wurden nämlich die Haare ebenfalls kurzgeschnitten. Mangels
anderer Kleidung liefen einige Mädchen in Knabenkleidern herum. Nach
der äußeren Erscheinung konnte man deshalb ein Mädchen von einem
Knaben nicht sofort unterscheiden.
Nach einiger Zeit schulterten die beiden Partisanen wieder ihre
Gewehre. Die Pistolen waren in den Pistolentaschen verstaut. Zusammen
mit ihnen verließen wir das Wachhaus und wurden auf der Hauptgasse
Richtung Kommandantur abgeführt. Das Lager schien menschenleer.
Niemand war zu sehen, kein menschlicher Laut zu hören.
Vor der Kommandantur angekommen, gaben sich die beiden Partisanen
durch Zuruf der Parole zu erkennen. Es gab eine längere Diskussion
zwischen dem Wachposten der Lagerkommandantur und einem unserer
Partisanen. „Die bringen uns in den Keller“ flüsterte der Peter
mir zu. Den Keller kannte ich bereits; was Haft in der Kommandantur
bedeutete, wusste ich auch. Trotzdem wäre ich froh gewesen, wenn wir
in den berüchtigten Keller eingesperrt worden wären. Das aufgeregte
Verhalten der beiden Partisanen ließ nichts Gutes erwarten.
Wir wurden vom Wachposten der Kommandantur abgewiesen. Plötzlich und
ohne Vorwarnung schlugen die beiden Partisanen mit den Fäusten auf
uns ein. Fluchend trieben sie uns auf der Hauptgasse wieder nach
Norden zurück. Die Mühle kam bereits in Sichtweite. Zu meiner Überraschung
führten sie uns nicht dorthin ins Wachhaus, sondern zu der Stelle zurück,
an der sie uns gefangen hatten. Die Tarndecke lag noch dort. Beide
warfen ihre Gewehre darauf, fluchend, aufs äußerste gereizt.
Es war fast hell geworden. Der Morgen kündete einen schönen Spätsommertag
an. Das gegenüberliegende Eckhaus in der Spitalgasse war klar zu
erkennen. Unser Ausgangspunkt. So nahe und für uns doch unerreichbar.
„Mein Gott“, dachte ich „wenn die uns doch nur laufen ließen“.
Die beiden Partisanen trieben uns in das Haus neben der
Notari-Hutweide. Die Gewehre lagen draußen auf der Tarndecke. Das war
ein gutes Omen! Durch den Vorhof trieben sie uns über den Hinterhof
Richtung Garten. Der Garten war völlig verwildert, ohne Zaun zum
Nachbargrundstück. Rechts neben uns lag die Notari-Hutweide, vor uns
waren die Hinterhöfe der Häuser in der Maulbeergasse zu erkennen.
Wir waren außerhalb des Lagers.
„Die lassen uns laufen“ flüsterte der Peter mir zu. Und tatsächlich,
beide Partisanen deutete durch Handbewegungen an, dass wir gehen
sollten. Richtung Norden. Richtung Temerin. Nichts an der Haltung der
beiden Partisanen deutete auf Gefahr hin. Die Pistolen waren in den
Pistolentaschen.
Erleichtert drehten wir von den beiden ab, wandten ihnen den Rücken
zu und gingen durch das hohe Gras Richtung Norden. Der Peter war
einige Schritte vor mir. Ich
ging etwas seitlich hinter ihm. Er wurde schneller.
Nur weg, weit weg von hier! In der Stille des Morgens hörte
ich hinter mir ein metallisches Geräusch. Im Gehen schaute ich zurück
zu den beiden Partisanen – und mit lähmenden Entsetzen sah ich,
dass beide Partisanen mit den Pistolen auf uns zielten. Breitbeinig
standen sie etwa vier bis fünf Meter hinter uns.
„Peter“! schrie ich, “Peter, die schießen!!!“ Instinktiv
drehte ich nach links ab, um in Richtung Mühle zu fliehen. Um die
Fluchtmöglichkeit abschätzen zu können, schaute ich nochmals zu den
Partisanen zurück. Ein gewaltiger Schlag traf meinen Hals,
durchschlug ihn, schleuderte meinen Kopf nach vorne und ließ mich
torkeln.
Der Peter hatte sich umgedreht und schaute zu den beiden Partisanen.
Blitzschnell erkannte er die tödliche Gefahr. Die Augen vor Schreck
weit aufgerissen, konnte er jedoch nicht mehr reagieren. Eine Kugel
traf ihn in die Brust. Verzweifelt griff er mit beiden Händen nach
seiner Brust.
Im Torkeln traf mich ein zweiter Schlag in der rechten Lende. Die
Kugel durchschlug meinen Körper und traf noch Peters rechten
Oberschenkel.
Die Wucht der Einschläge riss mich zu Boden. Im Fallen, mit
beginnender Bewusstlosigkeit, sah ich noch, dass der Peter nochmals in
die Brust getroffen wurde. Auf dem linken Bein balancierend, in einer
grotesken Körperhaltung, griff er mit einer Hand zum Oberschenkel und
mit der anderen an seine Brust.
Eine bleierne Dunkelheit erfasste mich, umschloss mich, hüllte mich
ein, trug mich in ein schwarzes Loch des Todes. Im Weggleiten aus dem
Leben, spürte ich noch wie sich mein Darm entleerte. Den Aufprall auf
die Erde nahm ich nicht mehr wahr.
Gras, taufrisches Gras. Herber Geruch nach Erde. Erde? Leben? Ich
erwachte zum Leben! Im Gras liegend, Gras und Erde im Mund, so kam ich
wieder zu mir. Plötzlich war ich hellwach. Kein Schmerz zu spüren.
Klare, konzentrierte Gedanken. Sofort erfasste ich ganz sachlich, was
geschehen war. Ich hörte jedes Geräusch. Ohne die Augen zu öffnen,
wusste ich, dass die Partisanen weg waren. Ich hörte es! Jetzt galt
es kühlen Kopf für die Flucht zu bewahren.
Der Peter bewegte sich! Ganz deutlich konnte ich hören, dass sich der
Peter bewegte. „Peter“ flüsterte ich in seine Richtung, „Peter,
lebst du?“ Er antwortete mit einem klaren „Ja!“
„Peter, kannst du aufstehen?“ Wieder antwortete er völlig klar.
„Ich weiß es nicht. Mein rechtes Bein ist weg!“ Seine Stimme war
plötzlich nicht mehr klar. Ein eigenartiges Kluckern und Röcheln war
zu hören. Ich richtete mich auf. Dann sah ich den Peter im Gras
liegen. Aus Löchern in seinem Rock quoll Blut. Verzweifelt schaute er
mich an.
„Peter, komm, wieder hauen ab!“ Ich kniete bereits im Gras und
schaute zu ihm hinüber. Er versuchte sich aufzurichten. Es gelang ihm
nicht. Sein Blick verklärte sich. Er starrte in die Unendlichkeit.
Mich nahm er nicht mehr wahr.
Plötzlich fing er an zu schreien. Aus voller Leibeskraft schrie er
nach seiner Mutter. Ich versuchte noch zu warnen. „Peter, nicht
schreien! Die Partisanen hören es!“ Es half nicht.
„Mama...Mama...“ schrie er weiter. Seine Stimme vibrierte.
Panische Angst hatte ihn erfasst.
Auf der Gasse hörte ich Schritte. Sofort begriff ich, dass die
Partisanen zurückkommen. Ich warf mich in meine ursprüngliche
Liegestellung zurück und stellte mich tot. Ich hörte Schritte näher
kommen. An den Schritten konnte ich feststellen, dass es nur ein
Partisan war.
Der Peter schrie weiter. Unwahrscheinlich laut erklang sein Schrei
nach seiner Mutter. „Mama!!!
Mama!!! Mama!!!“ Ich hörte, wie Blut aus seinen Lungen
floss.
Der zurückgekommene Partisan stand unmittelbar neben mir. Mit der
Stiefelspitze stieß er mir an den Kopf. In dieser Sekunde schrie der
Peter wieder auf. „Mama!!! Mama!!!“
Aus nächster Nähe schoss ihm der Partisan in den Kopf! Der Schrei
ging augenblicklich in ein Röcheln über. „Ma...“ war noch zu hören,
dann trat Todesstille ein.
Am Vibrieren des Bodens merkte ich, dass sich der Partisan entfernte.
Fluchend verließ er den Ort seines Verbrechens.
Peter Kendl, nach dem Beruf seines Vaters, der Schlosser war, in
Bulkess auch der „Schlosser-Peter“ genannt, war tot.
Er wurde am Morgen des 14. September 1945 ermordet!
Sein Leben währte nur 12 Jahre, 8 Monate und 25 Tage.
Geretsried, den
14.September 2004
Friedrich Glas
1)
In Auszügen im „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen
Jugoslawien“, bereits 1995 veröffentlicht.
Band III, Seite
566. ISBN 3-926276-21-5. Herausgeber: Deutsche Kulturstiftung München.
Georg Wildmann.
Mitautoren:
Leopold Barwich, Ernst Lung, Hans Sonnleitner, Georg und Käthe
Tscherny, Karl Weber.
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